Sie befinden sich hier:

Good Vibes im Osten

separee
(Kommentare: 0)
Nadine Beck

Mangel macht kreativ. Dieses Motto galtdefinitiv für das Leben in der DDR, wo Improvisation großgeschrieben wurde. Es wurde wiederverwertet, umgebaut, selbst gemacht, was nicht zu kaufen war. Darunter natürlich auch Sexspielzeug.

  • Text: Nadine Beck
    Fotos: privat

Wir alle haben unsere ersten sexuellen Gehversuche wohl irgendwie mit Duschköpfen, Sofaritzen und Kissen verbracht, über die wir uns reibend, drückend und stoßend hergemacht haben. Die Masturbation nach Art des Hauses beinhaltete potenziell alle Dinge, mit denen wir unsere Genitalien stimulieren konnten: Gummigriffe von Hüpfbällen und Shampooflaschen gehörten ebenso dazu wie alles, was die Küche an Gemüse oder sonstigem hergab, das man sich in Körperöffnungen einführen oder in das man seinen präbubertären Phallus erfolgreich versenken konnte. Auf dem nächsten Level kamen elektromechanische Geräte wie der vibrierende Griff vom Milchaufschäumer oder der Zahnbürste zum Einsatz. Im Westen gab es danach noch die Steigerung zu „echten“ Sextoys, im Osten blieb man kreativ und schuf zahllose Alternativen.

Ich habe meine Doktorarbeit zur Kulturgeschichte des Vibrators geschrieben. Ja, das geht. Kulturwissenschaftler*innen dürfen das. Und nein, ich probiere nicht alle Geräte selbst aus.

Als wissenschaftliche Voyeurin frage ich eher andere Leute nach ihren Praktiken, Gefühlen und Erfahrungen mit den Geräten. Wobei mir die teilnehmende Beobachtung im Falle des Vibrators in den letzten Jahren auch persönlich einige nicht nur geistig erhellende Momente beschert hat.

Ich hatte, kurz gesagt, wirklich sehr, sehr viel Spaß. Und das nicht nur, weil ich das bis heute vorherrschende, vollkommen unnötige Tabu zum Thema Masturbation und Sexspielzeug ansägen konnte, sondern auch deswegen, weil ich das Vergnügen hatte, Dutzende von Zeitzeug*innen zu befragen. Echte Erlebnisse von Menschen schreiben einfach die besten Geschichten.

Der Massagestab kam in Westdeutschland etwa 1969 auf den Markt und verbreitete sich sehr schnell in den Haushalten. Ich wollte von den Menschen wissen, wie sie die Vibratoren damals eigentlich fanden und vor allem, wie sie sie benutzt haben. Dabei stieß ich auf zwei Probleme. Erstens: Die Generation, die den Vibrator damals in der BRD besessen und benutzt haben konnte, sprach nicht darüber. Ganz gründlich gelernte kulturelle und religiöse Scham über alles Sexuelle hielt sie davon ab, an meiner anonymen Fragebogenaktion mitzumachen. Dabei dachte ich, der Massagestab wäre der Messias der Masturbationswilligen. Gekommen, damit Frauen besser kommen können! Spoiler: Es war auch so, aber man macht selbst heute, 2021, den verschämten Mund darüber nicht auf.

Das zweite Problem: Auf der anderen Seite der deutsch-deutschen Grenze gab es damals schlichtweg keine „richtigen“ Sexspielzeuge. Der DDR-Staat sorgte per Gesetz dafür, dass die als „westlich dekadent“ von ihm gebrandmarkten Artikel wie Vibratoren, Dildos oder Penisringe nicht im freien Warenhandel erhältlich waren. Ich wollte es genauer wissen und habe meine Fragebogenaktion auf Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ausgeweitet – und siehe da, ich wurde mit Antworten nur so überschüttet! Die Schilderungen waren ein Gemischtwarenladen aus unerwarteten, schönen und lustigen Lebensgeschichten. Es gab zum einen sehr wohl „echte“ Vibratoren in Form von Massagestäben, allerdings illegal in das Land und die Körper eingeführt und selbst die Stasi hatte dabei ihre Hände im Spiel. Zum anderen führte die Knappheit des erotischen Warenangebots zu fantasiereichen Alternativen, die sich die Menschen damals als Sexspielzeug umbauten, zweckentfremdeten oder nach westlichem Vorbild ausgesprochen innovativ selbst herstellten.

Eines aber hatten die Erzählungen alle gemein: einen vergleichsweise unbefangenen Umgang mit der eigenen Sexualität, der nicht der Makel von Scham und Schuld, Sünde und Tabu anhaftete und der häufig von Beziehungen auf Augenhöhe zeugte, bei dem alle Beteiligten zum Orgasmus kommen sollten. Und über die auch heute noch entspannt gesprochen werden kann.

Bezaubernd ist dabei zum Beispiel die Geschichte von Alex (Namen v. d. Red. geändert) und seiner Frau, heute beide über 80. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht, aber er ruft mich bis heute alle paar Monate an, wenn seine Frau gerade beim Seniorensport ist, und ich darf ihn alles fragen, was ich zum Thema Sexualität in der DDR und im hohen Alter wissen möchte. Ein Goldschatz als Zeitzeuge und Person und auch seine Frau kann sich glücklich schätzen: Die beiden haben bis heute ein harmonisches, regelmäßiges Sexualleben und können über alles reden. (Das sind mal Relationship Goals!) Auch darüber, dass Alex´ Frau beim Sex in den 1960er Jahren Schwierigkeiten hatte, zum Höhepunkt zu kommen. Im Schaufenster sah er dann ein Massagegerät, den formschönen Komet MA 1. Ein hellblauer Klotz, an Ergonomie nicht zu denken, mit viel zu kurzem Kabel und nur einer Vibrationsstufe: volle Kraft voraus. Alex dachte sich aber, wenn dieses Gerät verspannte Muskeln massieren konnte, könnte man es auch an anderer Körperstelle einsetzen. Kurzum, der Komet war ein voller Erfolg! An der Vulva und Klitoris angesetzt, führt er Alex´ Frau endlich und zuverlässig zum Orgasmus – und das bis heute. Das Paar benutzt ihn immer noch beim Sex. Alle möglichen Vibratoren, G-Punkt-Massagestäbe oder Dildos wurden zwar nach dem Mauerfall ausprobiert, aber wieder verworfen. Keiner brummt so schön und stark wie der Komet!

Wenn man bei DDR-Kleingeräten von „Komet“ spricht, kommen vielen DDR-Bürger*innen übrigens eher Küchenmaschinen in den Sinn, die von dieser Marke hergestellt wurden. Dass Haushaltsutensilien, Spielzeug und Lebensmittel aber ebenfalls sexuell zweitverwendet werden konnten, haben mir viele der Befragten erzählt. Weinflaschen der rumänischen Marken „Murfatlar“ und „Cotnari“ wurden wegen des längeren Flaschenhalses zweckentfremdet und wurden aufgrund der enthemmenden Wirkung des süßen Weins im Volksmund auch „Büchsenöffner“ genannt. Zurechtgeschnitzte Kerzen, gedrechselte Kunstglieder, aber auch alles, was einen Elektromotor besaß und halbwegs mobil war, konnte zur Luststeigerung als Sexspielzeug eingesetzt werden, darunter auch elektrische Zahnbürsten. „Von drei austauschbaren verschiedenfarbigen Putzköpfen wurde eine für den Penis oder die Vulva reserviert“, schrieb Werner mir. Elektro-Kaffeemühlen oder Kinderspielzeug mit kleinen Elektromotoren und Batterieantrieb, sogar Trafos bis 24 Volt von Modellbahnen kamen zum Einsatz. Oder Wäscheschleudern wie die SICCO III, auf die man sich setzen musste, damit sie im Schleudergang nicht umhertanzte und deren Vibrationen sich dabei über den abgerundeten Einschaltknopf perfekt auf die Genitalien übertrugen.

...

Mehr Anekdoten mit improvisierten Sex-Utensilien lesen Sie in Séparée No.30.

Zurück