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Irene Habich

Die Aktion war einer der Meilensteine des deutschen Feminismus, angestoßen hatte sie Alice Schwarzer: 1971 ließen prominente Frauen wie Romy Schneider oder Senta Berger ihr Foto auf dem Cover des Magazins Stern abdrucken, dazu die Titelzeile „Wir haben abgetrieben”. Sie protestierten damit gegen den § 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt.

  • Text: Irene Habich
    Fotos: New Africa/stock.adobe.com

50 Jahre später sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal möglich, aber immer noch ein großes Tabu. Betroffene Frauen haben mit fragwürdigen gesetzlichen Hürden zu kämpfen und sind den Attacken radikaler Abtreibungsgegner ausgesetzt. Das gleiche gilt für Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten.

Tatsächlich wurde der § 218 niemals abgeschafft. Ein Schwangerschaftsabbruch gilt immer noch als Straftat, auf die bis zu drei Jahren Gefängnis stehen. Es gibt aber eine Ausnahmeregelung: Das Beenden einer Schwangerschaft bleibt innerhalb der ersten 12 Wochen straffrei, wenn Frauen eine Pflichtberatung absolvieren und danach drei Tage verstreichen lassen. Möglich ist ein Abbruch auch nach einer Vergewaltigung und aus medizinischen Gründen.

Doch ganz so einfach wie das klingt, ist es nicht. Denn viele Frauenärzte bieten den Eingriff überhaupt nicht an. Das liegt zum einen daran, dass dieser im Medizinstudium praktisch nicht gelehrt wird. Auch bei der praktischen Ausbildung kommt er in der Regel nicht vor: obwohl es sich um den häufigsten gynäkologischen Eingriff handelt, gut 100 000 Frauen entscheiden sich pro Jahr in Deutschland dafür. Wer als angehender Arzt etwas über Schwangerschaftsabbrüche lernen möchte, muss sich gezielt darum bemühen – oder für ein Praktikum ins Ausland gehen. In Berlin hat sich deshalb inzwischen „Medicins pro Choice” gegründet, eine Gruppe von Medizinstudenten, die sich Schwangerschaftsabbrüche neben dem Studium selbst beibringen. Sie üben den Eingriff notgedrungen an Papayas, weil die in Form und Größe der menschlichen Gebärmutter ähneln.

Noch dazu sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland immer noch dermaßen geächtet, dass viele Ärzte sie nicht nur nicht selbst durchführen wollen, sondern sie sogar offen ablehnen. „So etwas mache ich nicht”, müssen sich hilfesuchende Frauen oft genug von ihrem Arzt anhören.

Die wenigen Mediziner, die den Eingriff anbieten, sind außerdem schwer zu finden. Schuld ist die Gesetzeslage. Bis vor kurzem war es deutschen Ärzten tatsächlich verboten, offen bekannt zu machen, dass sie Abtreibungen durchführen. Das wurde als Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ausgelegt, und die ist nach § 219a des Strafgesetzbuchs strafbar. Der Paragraph ist eigentlich ein Relikt aus der Nazizeit, aber radikale Abtreibungsgegner nutzen ihn regelmäßig, um Ärzte zu verklagen. Trotz politischer Diskussionen wurde der § 219 a vor zwei Jahren nicht gestrichen, sondern nur geringfügig geändert.

Ärzte dürfen nun zwar bekannt geben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen, aber keine genaueren Informationen zum Ablauf oder Methode anbieten. Und die Bundesärztekammer führt nun Listen mit Medizinern, die Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch aufsuchen können.

„Das Grundproblem ist damit aber nicht gelöst”, sagt Christina Hänel. Die Medizinerin aus Gießen setzt sich seit Jahren für eine Abschaffung des § 219 ein. „Die Liste ist nämlich unvollständig, weil längst nicht jeder darin aufgenommen werden möchten.” Hier kommen erneut die Abtreibungsgegner ins Spiel: Sie nutzen solche zentralen Listen, um Mediziner im Internet an den Pranger stellen, zu beleidigen und anzufeinden. Viele von Hänels Kollegen geben daher lieber nicht bekannt, dass sie Abtreibungen anbieten, selbst wenn sie es tun.

Um einen Arzt zu finden, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt, müssen Frauen also oft erst etliche Praxen und Kliniken abtelefonieren. Dabei landen sie oft genug bei solchen, die den Eingriff generell ablehnen. „Sie werden dabei nicht nur häufig abgewiesen sondern auch beschimpft. Es ist würdelos und erniedrigend”, sagt Hänel.

Dass Mediziner den Schwangerschaftsabbruch als ärztliche Leistung einfach so verweigern können, sieht Hänel kritisch. Aber auch das ist gesetzlich in Deutschland so geregelt: Niemand ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen – es sei denn, es liegen medizinische Gründe vor. Es geht also nicht darum, dass der Eingriff an sich für unzumutbar gehalten wird. Sondern um eine moralische Wertung. So verweigern viele Kliniken, die medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, Abbrüche aus anderen Gründen. „Das wäre so ähnlich, als wenn ich einen Autobahnraser nicht behandeln will, weil ich sein Verhalten verurteile”, sagt Hänel. Natürlich sei es auch schwierig, wenn Ärzte Abbrüche durchführen müssten, die es eigentlich nicht wollen. Durch die Weigerung der Kollegen und die gesetzlichen Hürden werde die Versorgungslage für die Frauen in Deutschland aber immer schlechter.

Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt eine ungewollte Schwangerschaft entdeckt wurde, können Frauen leicht in Zeitnot und Bedrängnis geraten. Vor allem dann, wenn sie auf eine Kostenübernahme ihrer Krankenkasse angewiesen sind. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern gibt es diese nur bei einem niedrigen Einkommen und sie muss erst schriftlich beantragt werden. Wenn die Krankenkassen die Bewilligung nicht rechtzeitig verschicken, müssen Frauen den Eingriff selbst bezahlen, was sie womöglich nicht können. Einige Ärzte nehmen von Selbstzahlern 900 bis 1000 Euro für einen Schwangerschaftsabbruch.

Zugespitzt hatte sich die Lage, als die Krankenhäuser wegen des Corona-Ausbruchs vorsorglich auf den Notbetrieb umschalteten. Einige Kliniken verweigerten nun Schwangerschaftsabbrüche mit der Begründung, es handele sich um keinen dringlichen Eingriff. Ganz so, als könnte dieser auch noch nach der Corona - Krise erfolgen. Gleichzeitig hatten viele Praxen geschlossen und die Krankenversicherungen bearbeiteten Anträge noch langsamer als sonst. „Eine meiner Patientinnen befand sich schon in der zwölften Woche und die Krankenkasse hatte ihren Antrag immer noch nicht bearbeitet. Ich musste erst selbst dort angerufen“, erzählt Hänel.

Die gesetzlichen Hürden und die Tabuisierung führen dazu, dass ungewollt Schwangere in Deutschland nicht die optimale medizinische Versorgung bekommen. So wäre zu Beginn einer Schwangerschaft noch ein Abbruch mit Medikamenten möglich. Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft früh erkennen und rechtzeitig einen Termin bekommen, bliebe ein meist unangenehmerer, operativer Eingriff erspart. Aufgrund des Mangels an Informationen wissen viele Frauen aber nicht einmal, dass sich eine Schwangerschaft auch mit Medikamenten beenden lässt. Und selbst für die Abtreibungspille müssen sie das gesamte Prozedere mit Beratungspflicht und Wartezeit durchlaufen.

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Den vollständigen Artikel lesen Sie in Séparée No.27.

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