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Zervix, erwache

separee
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Isabell Schwarz

Die Zervix kann Frauen so zu sehr intensiven Orgasmen bringen – wenn wir uns ihr widmen und uns Zeit geben. Eine Reise ins Innerste.

  • Text: Isabell Schwarz
    Fotos: Andrii Zastrozhnov/stock.adobe.com

Wir sind uns ziemlich nah. Doch lange habe ich dich ignoriert. Nichtsahnend, was da in mir schlummert. Allein dein Name schreckte mich immer ab, mich dir zu widmen, ich gebe es zu. Irgendwie medizinisch, verbunden mit Abstrich und Schleim, Krebsvorsorge und mir unangenehmen Terminen beim Gynäkologen. Die Zervix. Der Gebärmutterhals. Wo genau bist du überhaupt?

„Die Zervix ist wie ein unbekanntes Universum, das es zu entdecken gilt“, sagt die Neuseeländerin Olivia Bryant, 44, die heute im australischen Melbourne als Sexologin arbeitet. Es ist ein Satz, der aufhorchen lässt. Über Facebook entdecke ich zufällig ein Video von ihr, sehe diese kraftvolle, von innen heraus leuchtende Frau mit kristallklaren Augen. Und denke, was immer sie tut, um so zu strahlen, ich will es auch. Begleitet von Olivia Bryant, am anderen Ende der Welt, mache ich mich gemeinsam mit Frauen rund um den Erdball verteilt auf die Reise. Wir erkunden unser Innerstes, machen uns auf zu einem von den meisten von uns lange abgelehnten, ignorierten, missachteten Teil in uns.

„Die Zervix ist unglaublich sensibel und berührungsempfindlich“, sagt Olivia Bryant, „eine sprudelnde Quelle der Lust und des Vergnügens“. Manche Frauen beschreiben sie als zweite Klitoris im Körperinneren. Sie ist das einzige Organ, in dem drei Hauptnerven enden. Einer davon, der Vagusnerv, übermittelt Gefühle von der Zervix ans Gehirn, transportiert Empfindungen zu den inneren Organen und nimmt Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ein feines Nervengeflecht verbindet den Gebärmutterhals mit dem sensiblen Beckenboden. Doch bei vielen Frauen fühlt sich der Gebärmutterhals zunächst taub an. Die ausgebildete Sexologin zeigt mittlerweile tausenden Frauen, wie sie ihre Zervix „erwecken“ können. Wir sind eine globale Gemeinschaft, mehr als dreitausend Frauen in einer Facebook-Gruppe. Self:Cervix nennt Bryant die Community. Mit Hilfe von Online-Kursen und Trainings möchte sie Frauen ermutigen, ihren Gebärmutterhals zu erwecken, um sein orgasmisches Potential zu entfalten.

Die Zervixforschung steht erst am Anfang. In den fünfziger Jahren hatte der berühmte Sexforscher Alfred Kinsey das Organ erforscht und kam zu dem Schluss, dass die Zervix komplett taub ist, zu keinerlei Erregung fähig. Natürlich. Wieder mal ein Mann, der meint zu wissen, was Frauen fühlen.

Doch stimulieren wir sie, kann der Körper über die Zirbeldrüse die Substanz Dimethyltryptamin (DMT) ausschütten. Eine körpereigene Droge, ein schnell und kurz wirksames Halluzinogen mit starker psychoaktiver Wirkung. Sie ist der Hauptbestandteil von bewusstseinserweiterten Pflanzen wie Ayahuasca. DMT kann während der Geburt, während des Sterbens und in Ekstase ausgeschüttet werden. Produziert eine Frau beim Sex genügend vom Kuschelhormon Oxytocin, ist die Zervix in der Lage, DMT freizusetzen. So kann die Zervix Frauen zu sehr intensiven Orgasmen bringen – wenn wir uns ihr widmen und uns Zeit geben.

Das erste Mal, als ich dir begegnen wollte, war schmerzhaft. Tränen flossen. Du hast mir gezeigt, wie oft ich meine Grenzen übertreten habe.

Bei vielen Frauen ist die Zervix zunächst wie taub oder schmerzt gar bei kleinsten Berührungen. Die Wurzeln dafür liegen in oft traumatischen Erfahrungen, medizinischen Eingriffen, Schmerzen beim Sex. Sehr wahrscheinlich wird die Zervix auch taub, wenn sie beim Penetrieren zu heftig angestoßen wird oder der Beckenboden verspannt ist. Olivia Bryant führt mich mit sanfter Stimme im Video in eine andere Welt. Es ist eine Meditation hin zu den Wurzeln des Schmerzes.

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch beim Frauenarzt, an die Angst und Tränen dabei, an Penetration, die in Momenten stattfand, in denen ich nicht bereit dazu war, an Momente der Scham und Angst. Daran, was ich meinem Körper und mir oft angetan habe, wenn ich mich abgelehnt habe, streng und hart mit mir war, mir meine Lust versagte. Die Tränen kommen von innen, Schmerz, ein Druckgefühl auf der Brust. Ich erschrecke. Es sind Erlebnisse, die viele Frauen haben, lese ich in den Foren, tausche mich mit anderen darüber aus.

Zunächst spüre ich nur in mich hinein, erahne von außen, wo meine Zervix etwa sitzen muss. Ich scheue mich nach den Tränen, zu ihr vorzudringen. Etwas in mir fürchtet einen weiteren Gefühlsausbruch, Schmerzen. Ich nehme mir Zeit, öle mich ein, streichle mich zärtlich. Der erste Schritt: Mit dem Finger taste ich mich in meiner Vagina vor und presse ihn rundherum am Eingang. Dann erspüre ich sie, ein kleiner Knubbel, versteckt am rechten Rand weit oben in der Vagina. Manche vergleichen sie wegen der kleinen Delle mit einem Donut oder einer Nasenspitze. Ich spüre die Muskulatur drumherum, umkreise den Punkt.

Mit der anderen Hand streichle ich meinen Bauch, den Venushügel. Jede Stelle, die verspannt ist, sich taub anfühlt, drücke ich, entspanne, atme, taste, atme, drücke, taste. Das Nervensystem lernt zu entspannen, wo es wehtut.

...

Wie die Entdeckung der Zervix weiter verlief, lesen Sie in Séparée No.26.

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